Staudinger’s makromolekulare Kampf gegen wissenschaftliche Dogmatiker

Staudinger’s makromolekulare Kampf gegen wissenschaftliche Dogmatiker

Staudinger war ein ausgeprochen produktiver Querdenker, der dem wissenschaftlichen und politischen Mainstream Paroli bot – bis er ihn schliesslich selbst anführte. 

Hermann Staudinger
Staudinger (* 23. März 1881 in Worms; † 08. September 1965 in Freiburg im Breisgau) war ein deutscher Chemiker und Nobelpreisträger.
Staudinger wird zu recht als Pionier der Polymerforschung bezeichnet, als Begründer der Kunststoffchemie, als Vater der Makromoleküle: Am 10. Dezember 1953 erhielt Hermann Staudinger aus der Hand von Schwedens König Gustav Adolf den Nobelpreis für Chemie.

Staudinger’s steiniger Weg durch Wissenschaft und Politik
Staudinger’s Weg zum Nobelpreis für Chemie im Jahr 1953 war mit sehr viel Skepsis und Ablehnung gesäumt. 1922 bezeichnete Hermann Staudinger die hochmolekularen Moleküle auf einer Versammlung der Kolloidchemiker erstmals als „Makromoleküle“. Zu diesem Zeitpunkt lehnte die Fachwelt diesen Begriff vehement ab. Staudinger konnte aber bis 1926 seine Hypothese experimentell weiter untermauern. Auf der Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte legte er die Ergebnisse über die „Chemie der hochmolekularen Stoffe“ vor, doch immer noch waren viele Kollegen skeptisch, da sie sich einfach nicht vorstellen konnten, dass es so grosse Moleküle gibt, die aus mehr als 100000 Atomen aufgebaut sind. Überliefert ist, dass Wieland Staudinger Ende der 1920er Jahre den Rat gibt: „Lieber Herr Kollege, lassen Sie doch die Vorstellung mit den grossen Molekülen, organische Moleküle mit einem Molekulargewicht über 5000 gibt es nicht. Reinigen Sie Ihre Produkte, wie z. B. den Kautschuk, dann werden diese kristallisieren und sich als niedermolekulare Stoffe erweisen.“ (zitiert nach Deichmann 2001, 253; vgl. Staudinger 1961, 79, und Krüll 1978a, 47-48). Äusserst dogmatisch gaben sich neben Chemikern auch andere Naturwissenschaftler, die sich über Staudingers „Riesenmoleküle“ echauffierten, etwa der Schweizer Mineraloge Paul Niggli (1888-1953): „Als Staudinger 1925 auf einer Fachtagung einen längeren Vortrag hielt, in dem er seine neuesten Beweise für die Existenz der Makromoleküle vorbrachte, platzte Niggli mittendrin der Kragen. Er erhob sich und brüllte in den Saal: ‚So etwas gibt es nicht!‘“ (Krüll 1978a, 232; vgl. Staudinger 1961, 86). Später sollte Niggli seinen Irrtum offen bekennen und über das eigene vorschnelle Urteil lachen, im Unterschied zu „Kollegen, die sich schweigend über ihre Fehlintepretation hinwegmogelten und das anfangs von ihnen heftig bekämpfte Makromolekularkonzept Staudingers als quasi selbstverständlich übernahmen“ (Krüll 1978b, 240, Fn. 44). Staudinger hatte letztlich doch richtig gelegen, mit seiner Annahme. Anfang der 1930er-Jahre wird seiner anfangs heftig befehdeten Theorie des makromolekularen Aufbaus der Polymere die verdiente Anerkennung beschieden. Staudinger selbst, der argwöhnisch beäugte Aussenseiter, avanciert zum angesehenen Wissenschaftler von Weltruf.

Gedenktafel vom 19. April 1999. Die American Chemical Society installierte 1999 am Freiburger Universitätsinstitut für Makromolekulare Chemie („Hermann-Staudinger-Haus“) eine Gedenktafel. Bildquelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/a/ae/Staudinger-Tafel.jpg

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