Der HERR der Anzüge! Hochinteressanter und massvoller Talk mit Mohamed Kadrou

Der HERR der Anzüge! Hochinteressanter und massvoller Talk mit Mohamed Kadrou

Mohamed Kadrou
Das Handwerk des Schneiders liegt Kadrou im Blut. Sein Grossvater und Vater hatten im syrischen Aleppo eine eigene Weberei. Siehe auch «Die Kunst der syrischen Textilherstellung». (Link).
Bruder und Onkel sind ebenfalls Schneider. Der Beruf des Schneiders war bereits sein Kindheitstraum, den er seit vielen Jahren nun leben darf. 1989 eröffnete Mohamed in seiner Heimat das erste eigene Herrenhemdenatelier, doch die politische Situation war bereits angespannt.
1999 kam Kadrou mit seiner Familie nach Deutschland und eröffnete 2004 ein Atelier in Lörrach. Das 2. Atelier in Baden hat er 2020 eröffnet.
Ich habe Mohamed auf wärmste Empfehlung von Ralf Kesselring kennengelernt. Da Ralf ein sehr gutes Gespür für Top-Qualität hat und nur das Beste gut genug ist, wollte ich natürlich mehr über Mohamed in Erfahrung bringen. Als ich Mohamed dann im Frühling 2022 in seinem schönen Ateliergeschäft persönlich kennenlernen durfte, bekam ich einen völlig anderen Bezug zu Stoff und Kleider. Als technik-affiner Mensch hatte für mich Kleidung eine eher untergeordnete funktionale Aufgabe zu erfüllen, doch seit ich Mohamed kenne, achte ich z.B. auch auf Haptik, denn feingewobenes Material aus Zweifachgarn ist schon spür- und messbar seidenweich. Mittlerweile ertappe ich mich sogar dabei, dass ich mich frage und prüfe ob die Knöpfe aus Perlmutt* und die Knopflöcher doppelt genäht sind. Bin ich nun eitel geworden? Ich hoffe nicht! Ich denke eher, dass ich dank dem guten Einfluss von Mohamed mehr auf Qualität achte.

* Die Schichtstrukturen von Perlmutt sind in etwa im Wellenlänge-Korridor des sichtbaren Lichtes. Da an jeder Schicht ein Fragment des einfallenden weissen Lichts transmittiert und ein Fragment reflektiert wird, kommt es zur Interferenz: D.h. das einfallende und reflektierte Lichtstrahlen sich so überlagern, dass somit bestimmte Anteile des Spektrums des weissen Lichts somit «ausradiert bzw. gelöscht» werden und, je nach Blickwinkel, unterschiedliche Farbtöne übrigbleiben. Wird nun das Perlmutt im Licht bewegt, scheint es daher bunt zu schillern.
Anmerkung: Zukünftig werde ich die «Bragg-Gleichung» nur noch im Zusammenhang mit Perlmutt sehen.

Nun freue ich mich sehr auf das Interview!


Abb. 1: Mohamed Kadrou versteht sein Präzisions-Handwerk! Mohamed instruiert mich beim korrekten Mass nehmen. v.l.n.r.: Lars, Mohamed und Stefano.
Die eigene Hemdenmarke MK Kadrou des Schneiders ist registriert.
MK Kadrou Herrenausstatter ist von SWISS TEXTILES (Textilverband Schweiz) zertifiziert: Markenlizenz bei der swiss+cotton Gemeinschaft.
Bild: Ralf Kesselring

Interview

Lars Rominger:
Hast Du Dich heute schon um den Bekleidungs-Zustand der Welt gesorgt?

Mohamed Kadrou:
Die Weltgemeinschaft hat derzeit gewiss dringlichere Probleme zu lösen als Stilfragen. Sorge um den Bekleidungs-Zustand der Welt habe ich deshalb nicht.
Aufgrund meines Berufes nimmt das Thema Bekleidung allerdings einen anderen Stellenwert ein als beim Durchschnitt. Ich übe meinen Beruf mit viel Leidenschaft und Hingabe aus und ich freue mich, wenn ich durch meine Arbeit meinen Kunden ein gutes Gefühl geben kann. Begegne ich anderen Menschen, spielt die Bekleidung bei mir aber eine untergeordnete Rolle.

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Lars Rominger:
Was können wir, aus Deiner Schneider-Sicht, aus der Novelle «Kleider machen Leute», mit dem Schneidergesellen Wenzel Strapinski in der Hauptrolle, des Schweizer Dichters Gottfried Keller lernen?

Mohamed Kadrou:
Dass guter Stil Türen öffnen kann, letztlich aber doch nur ein guter Charakter zählt. Gute Bekleidung und Stil sind kein Ersatz für die Tugenden; mehr Schein als Sein funktioniert nicht. Aus der Optik eine Schneiders könnte die Devise aber lauten: Schein und Sein. Dann wäre ich glücklich, denn immerhin verdiene ich damit mein Geld. Und ich glaube auch, dass dies schöne Menschen schon immer begeistert hat. Kulturgeschichtlich kann man dies gut nachweisen. Menschen sind aber manchmal etwas bequem und sie kaufen und tragen das, was sie seit Jahren kennen. Mein Ansatz ist anders: ich versuche, meine Kunden manchmal auch zu locken, etwas Neues auszuprobieren und den Stil typengerecht weiterzuentwickeln. Ausserdem sind mir Qualität und Nachhaltigkeit sehr wichtig.

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Abb. 2: Neuverfilmung von „Kleider machen Leute“, mit dem Schneidergesellen Wenzel Strapinski in der Hauptrolle bei MK Kadrou Herrenausstatter?
Nach der Novelle des Schweizer Dichters Gottfried Keller. v.l.n.r. Lars, Mohamed und Stefano.
Foto: Ralf Kesselring

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Lars Rominger
Ich persönlich beobachte eine zunehmende «Casualisierung» der Gesellschaft.
Die Ausnahme bilden der Serien-Held Barney Stinson aus „How I met your Mother“, der Satiriker Jan Böhmermann oder auch der Schweizer Schriftsteller Martin Suter, die fast ausschliesslich Anzüge mit Krawatte tragen. Dadurch werden sie zu Trendsettern.
Wie schätzt Du diese Entwicklung ein?

Mohamed Kadrou:
Mit der Coronapandemie hat diese Entwicklung zur «Casualisierung» stark an Fahrt aufgenommen. Zu Hause vor dem Computer tun es Jogginghose und T-Shirt. Viele Personen, die bei der Arbeit regulär Anzüge tragen, haben deshalb etwas verlernt, sich stilgerecht zu kleiden oder sie haben ihre Prioritäten geändert. Auch die Arbeitgeber legen etwas weniger mehr Wert auf Äusseres. Ich finde diese Entwicklung hin zu mehr Individualität gar nicht schlecht und die Mode muss darauf reagieren. Ich habe deshalb auch mein Sortiment zunehmend angepasst und biete deshalb auch sportlichere Mode an. Jetzt, da wir Corona weitestgehend überwunden haben, merke ich aber zunehmend, dass sich die Leute wieder darauf freuen, sie wieder etwas mehr «herauszuputzen». In der letzten Zeit erhalte ich deshalb immer mehr Anfragen für Anzüge.

Man muss aber auch das Folgende sagen: Viele Menschen tragen meiner Erfahrung nach Anzügen nicht so gerne, weil sie schlicht nicht gut sitzen und deshalb unbequem sind. Eine schlecht sitzende Jogginghose oder ein zu enges Sweatshirt stören weniger als ein Anzug der kneift.

Kein Vergleich zur Stangenware sind Massanzüge oder Anzüge, die fachmännisch angepasst wurden. Insbesondere Massanzüge sitzen, wie eine zweite Haut und zwar selbst dann, wenn man viel sitzt und Bewegungsfreiheit benötigt. Ich erhalte von meinen Kunden immer wieder die Rückmeldung, dass sie sich nicht hätten vorstellen können, dass ein Anzug so bequem sein kann. Ein Anzug von der Stange kann diesen Ansprüchen selten gerecht werden – dafür sind Körper und Körperhaltung einfach zu unterschiedlich. Oft sind Details entscheidend für das Traggefühl. Wir arbeiten mit ungefähr 50 Parameter, um einen perfekten Sitz zu ermöglichen.

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Lars Rominger:
Gut Ding will bekanntlich Weile haben.
Wie viel Zeit muss man für den gesamten Entstehungsprozess eines Massanzugs bei Dir einplanen und welche Qualitäts-Stoffe kommen dabei in der Regel zum Einsatz?

 

Mohamed Kadrou:
Die Fertigung eines Massanzugs ist ein komplizierter Vorgang, der einige Zeit in Anspruch nimmt. Üblicherweise bespreche ich mit meinen Kunden zunächst, welche Erwartungen sie an einen Anzug stellen und für welchen Anlass er benötigt wird. Danach vermesse ich den Kunden, um die richtigen Schlupfteile auszusuchen. Anschliessend wird das Schlupfteil abgesteckt, woraus die Masse errechnet werden können.

Ein wichtiger Vorgang ist danach die Auswahl der Stoffe und der Ausstattungsdetails. Wir haben über 1000 verschiedene Stoffe mit allen Qualitäten und Preisklassen, angefangen mit einem eher günstigen Wollstoff in Super 100 bis hin zu extrem seltenen und feinen Stoffen aus Super 200 Qualität oder Mischungen aus Wolle-Seide oder Wolle-Kaschmir. Die Preis-Range ist deshalb riesig. Ich habe Massanzüge für 1000 CHF und solche für 10.000 CHF.

Die Stoffe, auch die günstigen, werden ausschliesslich in den besten Webereien in Italien oder Grossbritannien hergestellt. Ich beziehe diese oft an Stoffmessen in Italien oder beim Produzenten direkt. Ich kann deshalb meinen Kunden ein sehr gutes Preis-/Leistungsverhältnis anbieten.
Sobald Stoff und Schnitt festgelegt wurden, müssen die Knöpfe, das Innenfutter und die Gestaltung der Taschen ausgesucht werden. Auch dabei bleiben keine Wünsche übrig.

Anschliessend geht der Anzug in die Produktion. Die Fertigung findet dabei unter höchsten Qualitätsansprüchen, in Portugal, statt. Mir ist wichtig, dass die Fertigungsprozesse unter guten arbeitsrechtlichen Bedingungen stattfinden. Bei meinen Lieferanten kann ich dies garantieren. Auch ökologische Gesichtspunkte spielen eine Rolle. Weniger ist manchmal mehr. Lieber zwei gutsitzende Anzüge aus guten Materialien als Kleidung, die nach ein paar Monaten schon wieder im Abfall landet. Die damit einhergehende Ausbeutung natürlicher Ressourcen halte ich für nicht verantwortbar. Wenn der Anzug bei mir eintrifft, findet die Endkontrolle statt. Sollten nach der Anprobe noch kleinere Arbeiten nötig sein, werden diese schnell erledigt.

Und noch ein weiterer Vorteil hat Massbekleidung: Die Kundenmasse sind bei mir hinterlegt und Nachbestellungen sind ganz einfach. Ich habe viele Kunden, die kaum Zeit für den Einkauf haben. Eine Mail oder ein Anruf genügen und schon ist ein neuer Anzug mit denselben oder leicht angepassten Massen bestellt. Über die Jahre gerechnet spart man Zeit und vor allem Nerven, weil man weiss, was man bekommt.

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Abb. 3: Instruktion durch den Profi-Schneider Mohamed Kadrou persönlich. v.l.n.r.: Mohamed Kadrou, Lars Rominger
Das alte und sehr bewährte Lehrmittel und Nachschlagewerk der Näh- und Schneiderkunst ist in seinem Herrenatelier ausgestellt.
Foto: Ralf Kesselring

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Lars Rominger:
Du produzierst auch Masshemden mit eigenem Label? Wie kam es dazu?

 

Mohamed Kadrou:
Für viele ist ein Hemd ein Alltagsgegenstand, der funktionieren muss. Hemden müssen perfekt sitzen, bequem und bügelleicht sein und viele Wäschen überstehen. Auf dem Markt gibt es leider nur wenige Produkte, die halten, was sie versprechen. Stangenware sitzt selten gut und meist sind die Hemden auch nach wenigen Monaten nicht mehr schön und am Kragen zeigen sich Abnutzungserscheinungen. Als Schneider wundere ich mich oft, zu welchen Preisen Hemden im Einzelhandel angeboten werden. Das kann nicht funktionieren.

Mein Ziel war es deshalb, langlebige und qualitativ hochwertige Hemden zu einem guten Preis anzubieten. Das gelingt mir, weil ich die Stoffe direkt beim Produzenten einkaufe und die Ersparnis eines Zwischenhändlers an den Kunden weitergeben kann. Die Stoffe kaufe ich praktisch ausschliesslich in der Schweiz, und zwar ganz einfach deshalb, weil es hier mit Abstand die besten Stoffe zu kaufen gibt. Manchmal muss ich Schmunzeln, wenn ich in einer Luxusboutique Konfektions-Hemden aus den gleichen Stoffen sehe und dafür teilweise Preise zwischen 500 und tausend Franken ausgerufen werden. Bei mir wird auf Mass gefertigt und die Preise liegen zwischen CHF 170 bei regulären Stoffen und CHF 350 bei absoluter Luxusware.

Wichtig ist mir ausserdem, dass die Hemden langlebig sind. Ich bin jetzt in Deutschland und der Schweiz seit fast 20 Jahren im Geschäft und nicht selten erzählen mir Kunden, dass sie immer noch Hemden tragen, die mehr als 10 Jahre alt sind und die regelmässig getragen wurden.

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Lars Rominger:
Welches Buch liest Du zurzeit?

Mohamed Kadrou:

Momentan fehlt mir leider die Zeit, um viel zum eigenen Lesen zu kommen. Aber ich lese regelmässig unseren beiden Töchtern vor. Das ist für mich entspannend und ein schöner Abschluss des Tages.

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Abb. 4:  Wahre Eleganz hat immer ein Mass. (Frei nach Modeschöpfer Valentino Garavani der Exzesse und kurze Socken hasst.)
V.l.n.r.: Lars, Mohamed und Stefano. Bild: Ralf Kesselring

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Lars Rominger:
Welches Zitat, welche Botschaft oder Lebensmotto möchtest Du uns noch auf den Weg mitgeben?

Mohamed Kadrou:
Der Weise macht keinen Schleier zwischen sich und dem Wissen und sucht es, wo immer er es findet, denn er hat mehr Recht darauf.

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Herzlichen Dank für das spannende und lehrreiche Gespräch mit Dir!

Lars Rominger im Juni 2023

Zu den weiteren „Lars war’s – Talks“ (Link)

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