Zum Jahresanfang 2024: Dr. Heinrich Stampfli im Interview zur Fragestellung „Carpe Diem, eine Lebensphilosophie?“

Zum Jahresanfang 2024: Dr. Heinrich Stampfli im Interview zur Fragestellung „Carpe Diem, eine Lebensphilosophie?“

Allen ein schönes und erfolgreiches 2024!
Angesichts der vielen anstehenden unvorhersehbaren Ereignisse im Neuen Jahr, macht es Sinn, sich wieder mal auf «carpe diem» zu besinnen.

Herzlichen Dank an den belesenen Heinrich Stampfli für den spannenden und tiefgründigen Talk!

Herzlichen Dank an Thomas Lötscher für die grossartigen Bilder sowie den ausgezeichneten Text im Kap. 2 „Talk-Zusammenfassung“.
*Autor des Buches „Demokratie mit Zukunft“ (Link)


INHALTSVERZEICHNIS

1.  Heinrich Stampfli
2. Talk-Zusammenfassung
3. Carpe Diem-Zusammenfassung
4. Das komplette Interview
4.1 Was weiss ich über Heinrich Stampfli?
4.2 Einige Gedanken zu Carpe Diem und seinem Autor
4.3 Carpe Diem – eine Lebensphilosophie?

 

1.  Dr. Heinrich Stampfli


Abb.: Dr. Heinrich P. Stampfli
Bildquelle: zVg.

Heinrich Stampfli ist Vorstandsmitglied bei der FDP „Die Liberalen Top 60 Zug“ und betreut dort das Ressort Finanzen.
Heinrich Stampfli hat sieben Jahre bei den Benediktinern in der Klosterschule Engelberg verbracht und die klassische Matura Typ A mit Griechisch, Latein und Philosophie erworben. Nach einem Jahr Militär bei der Gebirgsinfanterie folgte ein Wirtschaftsstudium an der Uni Lausanne. Dieses hat er erfolgreich mit einem Lizentiat und Doktorat abgeschlossen. Anschliessend folgte eine steile Karriere im Banken- und Finanzumfeld. In Zug war er bei einem Handelskonzern als CFO bevor er sein eigenes Beratungsunternehmen in Zürich und Zug gegründet hat. Heute stellt er, wie einleitend erwähnt, sein umfangreiches Wissen als FDP-Vorstandsmitglied zur Verfügung. Link zu FDP „Die Liberalen Top 60 Zug“. 

 

2. Talk-Zusammenfassung

Speziellen Dank an dieser Stelle an Thomas Lötscher*, für den ausgezeichneten Text und die sehr guten Bilder.
*Autor des Buches „Demokratie mit Zukunft“ (Link)


Abb. 1: Der belesene Dr. Heinrich Stampfli kennt sich auch in Philosophie hervorragend aus.
Bilder und Text von Thomas Lötscher.

 


Abb. 2: Heinrich Stampfli und Lars Rominger beim Interview „Carpe Diem – Eine Lebensphilosophie?“
Bild: Thomas Lötscher

 


Abb. 3: Der digitale Philosoph Heinrich Stampfli beim Interview „Carpe Diem – eine Lebensphilosophie?“
Bild: Thomas Lötscher

 


Abb. 4: Der analoge Interviewer Lars Rominger beim Interview „Carpe Diem – eine Lebensphilosophie?“
Bild: Thomas Lötscher

 

3. Carpe diem – Zusammenfassung

Carpe Diem – Nutze den Tag.

Die lateinische Phrase, gemeinhin als „Geniesse den Tag“ übersetzt, erschien erstmals in einer Ode «An Leukonoe», einer Gedichtsammlung aus dem Jahr 23 v. Chr. über eine Reihe römischer Themen. Der Autor des Buches war Quintus Horatius Flaccus, den modernen Lesern als Horaz bekannt, ein römischer Dichter und hoher Offizier zu Zeiten des römischen Bürgerkrieges.

Die ganze Zeile in Horaz’s Ode lautet: Carpe diem, Quam Minimum Credula Postero – wörtlich übersetzt als „Zupfe den Tag, setze wenig Vertrauen in morgen“.

Die wahre philosophische Botschaft hinter den Worten kennen wohl nur wenige. Es ist ein Aufruf, den Moment bewusst wahrzunehmen, zu leben und Freude zu finden. Das Gestern ist Vergangenheit und das Morgen noch nicht verfügbar. Was liegt also näher, als den jetzigen Augenblick in seiner vollen Kraft zu erleben und zu gestalten?

Bevor er zum Militär ging, erhielt Horaz eine Ausbildung in Literatur in Rom und in Philosophie an der Akademie in Athen. Er studierte dabei eine Reihe von Lehren griechischen Ursprungs, darunter Stoizismus und Epikureismus. Wie viele Römer dieser Zeit fand auch Horaz in den Lehren des Philosophen Epikur seinen Gefallen.

Epikureer glaubten nicht an das Leben nach dem Tod oder an etwas Übernatürliches. Ihre Philosophie lehrte, dass alles, was existiert, nur aus Materie besteht. „Der Tod“, schrieb Epikur, „ist nichts für uns. Wenn wir existieren, ist der Tod noch nicht gegenwärtig, und wenn der Tod gegenwärtig ist, dann existieren wir nicht. “ Das Leben, dachte der Philosoph, ist das Hier und Jetzt; es gibt keine himmlische Belohnung und keine Bestrafung für die Verdammten.

Daher betrachteten die Epikureer das Vergnügen als das größte Gut und den Zustand, den wir ständig erreichen sollten. „Du hast morgen keine Macht mehr“, schrieb Epikur, „und doch hast du dein Vergnügen aufgeschoben„.

Also Carpe Diem, freu dich am Leben, sammle die Früchte deiner Arbeit und gönne dir heute etwas Vergnügen.

Sammle in der heutigen Ernte, denn wir haben keine Ahnung, was morgen sein wird.

Carpe diem – eine Lebensphilosophie? Vielleicht! Jeder entscheidet selbst, welche Akzente er in seinem Leben setzen will.

 

4. Das komplette Interview

Der hochinteressante Talk mit Dr. Heinrich Stampfli zerfiel in drei Teile:

– Was weiss ich über Heinrich Stampfli?
– Einige Gedanken zu Carpe Diem und seinem Autor.
– Die Antwort zur Frage «Carpe Diem» – eine Lebensphilosophie?

 

4.1 Was weiss ich über Heinrich Stampfli?

Zur Person Heini und seine Vorgeschichte, bzw. was weiss Lars Rominger über Heinrich Stampfli?

Heini, du bist seit dem Jahr 1977 Mitglied vom Rotary Club und Du bist warst Gründungsmitglied vom Rotary Club Wettingen, Deinem damaligen Wohn- und Arbeitsort.

Nach Deinem Wohnortswechsel, seit 1987, bist Du somit schon sage und schreibe 36 Jahr Mitglied in unserem Club.
Vor sehr vielen Jahren hast Du im Rotary Club immer wieder mal über dieses Thema referiert. Da ich erst seit 2017 im Rotary Club bin, habe ich Deine Beiträge leider verpasst. Ein ähnliches Schicksal teilen auch weitere jüngere Mitglieder mit mir. Deswegen macht es, denke ich, Sinn kurz Deinen Werdegang zusammen zu fassen.

Du hast sieben Jahr bei den Benediktinern in der Klosterschule Engelberg verbracht und die klassische Matura Typ A mit Griechisch, Latein und Philosophie erworben. Nach einem Jahr Militär bei der Gebirgsinfanterie hast Du Dein Wirtschaftsstudium an der Uni Lausanne begonnen.
Aus meiner Sicht ein heftiger Stilbruch.
(Vom Gebirge direkt in die pralle Wirtschaft).
Das Wirtschaftsstudium hast Du erfolgreich mit einem Lizentiat und dem Doktorat abgeschlossen. Anschliessend folgte eine steile Karriere im Banken- und Finanzumfeld.
In Zug hast Du bei einem Handelskonzern als CFO Deine Spuren hinterlassen, bevor Du ein eigenes Beratungsunternehmen in Zürich und Zug gegründet hast.

Dies ist eine beeindruckende, vielseitige und hochinteressante Lebensgeschichte.

Es hat bei mir jedoch auch Fragen aufgeworfen, denn Du hast als Klassifikations-Zuteilung Executive Search und früher Bank – und Finanzwesen gehabt.
Für mich eine sehr spannende, aber auch aussergewöhnliche Kombination, denn die Finanzleute die ich bisher kennengelernt habe, haben sich lieber mit ihren Zahlen und Excel-Tabellen unterhalten als mit Menschen. Stichwort: «Buchhalter Nötzli». Dich erlebe ich jedoch als sehr extrovertiert und kommunikativ. Ich habe mich deswegen gefragt: Hat dies ev. etwas mit Carpe diem zu tun, dass Du vom Finanzwesen in den Executive Search – Bereich gewechselt hast. Auch interessiert mich wie Heini nach sieben Jahren bei den Benediktinern in der Klosterschule Engelberg sich zur «Carpe diem» – Lebensphilosophie hingezogen fühlt. Ich hoffe, ich erhalte im Verlauf von unserem Gespräch auch auf dies Antworten und freue mich nun sehr auf das Interview mit Heini.

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Lars Rominger:
Eine kurze einleitende Frage zum Kontext von vorhin.
Bist Du bewusst oder zufällig in die Gebirgsinfanterie gegangen?

Heinrich Stampfli:
Das geschah eher zufällig!
Die Aushebung war ja damals in Engelberg, somit im Gebirge, doch ich war Stadtzürcher. Ich war damals ziemlich sportlich, im Jungschützenkurs der beste. Aber es gab ein Zürcher Regiment, das damals dem Kt Graubünden zugeteilt war! So landete ich halt bei den Gebirgsinfanteristen.

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Lars Rominger:
Wie kommt es, dass Du vor über 46 Jahren, im jugendlichen und zarten Alter von 36 Jahren, im Rotary Club beigetreten bist?

Heinrich Stampfli:
Nach ersten Erfahrungen im Bankumfeld wurde mir im Jahre 1975 – ich war erst 35 Jahren alt – die Leitung einer Regionalbank, der Gewerbebank Baden, anvertraut.
Kurz nach Antritt meiner neuen Aufgabe wurde ich von den örtlichen Serviceclubs, Rotary, Lyons, Ambassador der Region Baden umworben.
Zur gleichen Zeit stand die Neugründung eines RC in Wettingen, meinem damaligen Wohnort, zur Diskussion.
Ein Verwaltungsrat der Gewerbebank Baden, ein Alt-Engelberger, motivierte mich, beim Rotary Club mitzumachen.
So wurde ich im Jahre 1977 Gründungsmitglied des RC Wettingen.
Wie kam ich zum RC Ägeri-Menzingen?
In den RC wird man bekanntlich berufen und kann sich nicht bewerben!
Nach meinem beruflich bedingten Wohnortswechsel nach Oberägeri wurde ich im Jahre 1987 von Albert Odermatt, einem inzwischen verstorbenen RC-Mitglied, vorgeschlagen, dem RC Aegeri-Menzingen beizutreten. So bin ich nun seit 36 Jahren Mitglied des RC Aegeri-Menzingen.

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Lars Rominger:
Wie kommt es, dass Du mit dem Wohnortswechsel auch einen Berufswechsel – vom Banker zum Finanzchef eines amerikanische Tradingunternehmens vollzogen hast?

Heinrich Stampfli:
Berufswechsel? Höchstens die Seiten vom Tisch gewechselt!
Während der Winterferien 1984 beim Lesen der NZZ bemerkte ich ein Inserat, in welchem die Tochtergesellschaft einer bedeutenden US-Gesellschaft, Commercial Metals, Dallas, in Zug einen Banker als Finanzchef (CFO) für die Leitung des Finanzbereiches der Tradinggesellschaft suchte.
Ich meldete mich, wurde bald darauf zu einem Gespräch nach Zug eingeladen. Zwei Wochen später sass ich im Flugzeug nach Dallas, absolvierte einen Interview-Marathon. Wieder zuhause angekommen, fand ich im Briefkasten eine äusserst attraktive Offerte.
Was tun? Ich war eigentlich nicht auf der Suche nach einem neuen Job. Die Offerte war zeitlich befristet. Ich hatte 10 Tage Zeit, mich zu entscheiden.
Warum nicht, dachte ich! Nutze die Chance – Carpe Diem!

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Lars Rominger:
Im Jahr 1996 hast Du dich selbständig gemacht und eine eigene Unternehmensberatungsfirma gegründet. Was waren so die wesentlichen Akzente bei Deiner beruflichen Tätigkeit gewesen?

Heinrich Stampfli:
Gründe zum Schritt in die Selbständigkeit
Im Jahre 1989 hatten sich die steuerlichen Rahmenbedingungen von US-Firmen geändert und machten meine Tätigkeit in Zug überflüssig.
Ich musste mir eine neue Tätigkeit suchen.
Durch meine Tätigkeit im Banken- und Finanzumfeld hatte ich mir im Verlaufe der Jahre ein breites Beziehungsnetz aufgebaut. Daraus wollte ich etwas machen und gründete eine eigene Firma.

Akzente meiner Tätigkeit:
In meiner Beratungstätigkeit (Unternehmens-beratung) war ich Gesprächspartner auf höchster Ebene und konzentrierte ich mich auf die Suche von Führungs- und Fachkräften im Finanzbereich.
Ich war der klassische Headhunter!
Meine Klienten waren u.a. die UBS, Zürcher KB, aber auch Auslandbanken wie Deutsche Bank, Dresdner Bank, alles erstklassige Banken.

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Lars Rominger:
Im Jahr 2005 hast Du Dich aus dem Berufsleben zurückgezogen und hast Dich dann jedoch in der Politik und im sozialen Bereich engagiert. Wie ist es zu dieser Wende gekommen?

Heinrich Stampfli:
Ich stand vor der Penionierung und freute mich auf ein ruhigeres Leben. Aber es kam etwas anders.
Gewisse Leute in Oberägeri, so auch unser verstorbenes RC-Mitglied Jürg Meier, hatten die Idee, ich könnte mich doch als Gemeinderat zur Verfügung stellen. Ich hätte nunmehr Zeit …!
So liess ich mich durch die FDP auf die Wahlliste setzen, rechnete mir aber, als Neuzuzüger, keine Chancen aus, gewählt zu werden.
Mit einem hauchdünnen Mehr von 16 Stimmen, es waren die Stimmen vieler Neuzuzüger, dann aber auch von unserem Club-Mitglied Peter Moll (CVP) und seinem Umfeld, wurde ich als FDP-Vertreter in den Gemeinderat gewählt. Ich war zuerst zuständig für Bereiche Sicherheit, dann für die Finanzen. Ich konnte meine Erfahrungen in einem neuen Umfeld einbringen.
Nach 6-jähriger Tätigkeit im Gemeinderat, im Alter von 70, wollte ich endlich meinen Ruhestand geniessen und bin bei den Neuwahlen nicht mehr angetreten.
In diesen Jahren kam ich in Kontakt mit der damals neu aufgestellten KESB (Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde).
Mir wurden 3 Mandate anvertraut, eine anspruchsvolle, aber auch interessante Aufgabe.
Inzwischen sind die mir anvertraut gewesenen Personen verstorben.
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4.2 Einige Gedanken zu Carpe Diem und seinem Autor

Lars Rominger:
Deine Geschichte ist äusserst beeindruckend und vielseitig. Du hast Chancen bekommen und sie auch gepackt. War dies bereits «Carpe Diem»- Nutze den Tag bedingt gewesen? Mit dieser Frage würde ich somit zum Teil 2 überleiten: Zum Spruch «Carpe Diem».
Das lateinische Wort «Carpe Diem» findet man an zahlreichen Orten, nicht nur auf Deiner Facebook-Seite.

Es ist auf Wänden gesprüht, es ziert Sonnenuhren, findet sich auf T-Shirts gedruckt und teilweise sogar auf die Brust tätowiert kommt es vor. Woher stammt das Zitat, wer ist der Autor der Zeilen, was heisst das genau übersetzt?

Heinrich Stampfli:
Woher stammt das Zitat?
Der lateinische Spruch «Carpe Diem» „geniesse den Tag“ ist über zweitausend Jahre alt und findet sich in einer Gedichtsammlung aus dem Jahr 23 v. Chr.

Wer war der Autor?
Der Verfasser war Quintus Horatius Flaccus, bekannt als Horaz, einer der bedeutendsten römischer Dichter in dieser Zeit und hoher Offizier in der Zeit des römischen Bürgerkriegs. Er lebte 65 v.Chr bis 8 v. Chr.

Was heisst das Zitat genau übersetzt?
Das Zitat besteht nicht nur aus zwei Wörtern. Es lautet vollständig: „Carpe diem quam minimum credula posterum!“ und findet sich in der letzten Verszeile des erwähnten Gedichtes an Leukonoe.

Das Zitat wird wie folgt übersetzt:
„Geniesse den Tag und traue dem nächsten so wenig wie möglich!“

Was muss man darunter verstehen?
Horaz wollte mit seiner Botschaft darauf hinweisen, dass es gilt, die knappe Lebenszeit zu nutzen, im Augenblick zu leben, im «Hier und Heute» Glück und Freude zu finden und nicht auf später zu verschieben.

Um die Gedanken eines Textes eines Autors richtig zu verstehen und der damaligen Zeit entsprechend richtig zu interpretieren, muss man den ganzen Text anschauen und versuchen, den Verfasser als Person zu verstehen und dabei auch sein kulturelles Umfeld, die Erziehung und Erfahrungen des Dichters miteinbeziehen.

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Lars Rominger:
Kannst Du uns noch etwas über Horaz erzählen, etwas zu seiner Person und wie der Sinn dieses Spruches in dieser Zeit zu verstehen war?

Heinrich Stampfli:
Zur Person Horaz

Horaz ist in ländlicher Umgebung, auf einem Landgut in Süditalien aufgewachsen. Horaz’ Vater betrieb ein Landgut und war gleichzeitig ein Versteigerungsagent und hat damit ganz anständig Geld verdient!

Er schickte seinen Sohn Horaz zum Literaturstudium nach Rom und anschliessend nach Athen, wo Horaz griechische Philosophie und Literatur studierte und den Stoizismus und den Epikureismus kennenlernte. In seinem weiteren Leben haben die Erlebnisse im Militär das Denken von Horaz beeinflusst. Im Jahre 44 v. Chr., nach der Ermordung Caesars, warb Brutus in Athen römische Studenten als Rekruten für die republikanische Armee an. Unter dem Kommando von Brutus machte Horaz rasch Karriere und stieg zum Militärtribun auf. Bei der Schlacht bei Philippi war er hingegen auf der Verliererseite und verlor Ruhm und Ehre. Er musste seine politischen Ambitionen und Karrierehoffnung aufgeben. Er war offensichtlich in der falschen Partei!
Er musste sich somit eine neue Beschäftigung, einen neuen Job suchen.
Horaz erkaufte sich eine Sekretärstelle und kam so mit verschiedenen Persönlichkeiten aus der Politik und der Kunstszene in Kontakt.
Horaz fand in der Folge Aufnahme in den Dichterkreis von Gaius Maecenas, einem Vertrauten des römischen Kaisers Augustus und Förderer der Künste, der junge Dichter unterstützte.
Übrigens die heutige Bezeichnung Mäzen für Förderer von Kunst und Wissenschaft geht auf seinen Namen zurück.

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Lars Rominger:
Wie haben diese verschiedenen Erfahrungen sein Werk beeinflusst? Kannst Du uns ein Beispiel nennen?

Heinrich Stampfli:
Einflüsse auf seine Werke
Horaz ist, wie bereits erwähnt, in einer ländlichen, rustikalen Umgebung aufgewachsen. Während seinem Studium kam er mit dem damaligen Zeitgeist der Epikuräer in Kontakt. Im Militär machte er weitere Erfahrungen. Diese unterschiedlichen Erfahrungen haben das Denken von Horaz beeinflusst und kommen denn auch in der Wahl seiner Worte und deren Bedeutung zum Ausdruck.

Zum Sinn seiner Worte
«Carpe Diem» stellt eher eine Floskel aus dem Gartenbau dar.
Unter „Carpe“ versteht Horaz zuerst einmal „Pflücken“, kann im übertragenen Sinne dann aber auch als „Nützen“ oder «Geniessen» verstanden werden.
Diem – von Dies – klassisch übersetzt heisst «der Tag», kann im weiteren Sinne auch als «das Heute, der Augenblick, das Jetzt» verstanden werden.

Sinn des Zitates
In seinem Gedicht meint Horaz mit «Carpe Diem», das Pflücken und Sammeln der reifen Früchte heute vorzunehmen, bevor es zu spät ist.
„Sammle die heutige Ernte, setze wenig Vertrauen in morgen“.
Horaz meint aber auch, dass du die Früchte deiner Arbeit nicht nur ernten, sondern auch geniessen sollst.
Du hast gesät, gearbeitet und kannst nun ernten und deine Früchte geniessen.
In den Schriften von Horaz finden sich somit nebst den rustikalen Einflüssen die philosophischen Strömungen von Epikur über das Glück und den Genuss.

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Lars Rominger:
Was vertrat Epikur für eine Philosophie, was verbergen sich für Gedanken dahinter?

Heinrich Stampfli:
Die Philosophie der Epikureer ist ein abendfüllendes Thema.
Kurz zusammengefasst:
Die Epikureer glaubten nicht an das Leben nach dem Tod oder an etwas Übernatürliches. «Der Tod,» schrieb Epikur, «ist nichts für uns.»
«Wenn wir existieren, ist der Tod noch nicht gegenwärtig, und wenn der Tod gegenwärtig ist, dann existieren wir nicht.»
“Das Leben ist das Hier und Jetzt; es gibt keine himmlische Belohnung und keine Bestrafung für die Verdammten.»
Die Epikureer sehen die Lebensfreude und das Vergnügen als das grösste Gut und den Zustand, den wir ständig, im Hier und Heute, erreichen sollten.

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Lars Rominger:
Ist dies nun die Lebensphilosophie von Horaz, die im «Carpe Diem» liegt?

Heinrich Stampfli:
Die Denkhaltung
«Lieber heute als morgen» war die Denkhaltung in der damaligen Zeit; lieber eine genüsslich gelebte Gegenwart als eine unsichere Zukunft.
So dachte auch Horaz. Er hatte ja verschiedene Umstände und Wechsel erleben müssen.
Die griechische Götterwelt hatte ebenfalls einen Einfluss auf das Denken der damaligen Zeit. Ein Jenseits gab es nicht.
Es gab zwar einen Götterhimmel. Dieser war jedoch für die Götter reserviert, nicht jedoch für die Menschen.
Wenn die Menschen keine Perspektiven haben, verheerende Kriege und Seuchen durchgemacht und eine geringe Lebenserwartung haben, dann ist die Geisteshaltung, auf die Gegenwart ausgerichtet, verständlich.

Zusammengefasst
Mit seinem «Nutze den Tag» wollte Horaz die Leute motivieren, «die knappe Lebenszeit im Augenblick sinnvoll zu verwenden, etwas daraus zu machen, die Früchte des eigenen Tuns zu ernten und zu geniessen und nicht auf den nächsten Tag zu verschieben».

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4.3 Carpe Diem – eine Lebensphilosophie?

Lars Rominger:
Damit kommen wir zum letzten und 3. Teil unserer trilogischen Gesprächs-Reise.
Nämlich zur Frage: Carpe Diem – eine Lebensphilosophie?
Was ist eine Lebensphilosophie?

Heinrich Stampfli:
Lebensphilosophie wird definiert als die Philosophie, die sich mit dem menschlichen Leben befasst; es ist die Art und Weise, das Leben zu betrachten und zu leben.
Auf den Einzelnen bezogen ist Lebensphilosophie eine persönliche Sichtweise, nach der ich lebe und an der ich mich orientiere.
Es gibt kein Richtig oder Falsch bei Lebensphilosophien. Jeder hat das Recht auf seine eigene Sichtweise. Man kann sich Fragen stellen:
Was ist wichtig für mich im Leben?
Wo will ich hin und wohin nicht?
Was tut mir gut und was nicht?
Die individuellen Antworten auf diese und weitere Fragen können eine Lebensphilosophie bilden und geben einen persönlichen Blick auf diese Welt.

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Lars Rominger:
Doch wie oft stellt sich unsereins solche Fragen?
Ich habe mich als 15-jährige gefragt ob man im Jenseits auch duschen kann. Dies kam in meinem damaligen Umfeld nicht besonders gut und ich habe dann schnell wieder damit aufgehört.

Heinrich Stampfli:
Ich behaupte mal, nicht allzu oft. Das ist fast wie bei den Neujahrsvorsätzen!
Ausreden wie «Ich habe keine Zeit oder keine Lust, mir solche Fragen und Gedanken zu machen» sind an der Tagesordnung.
Vieles, zu vieles verschieben wir auf später, nach dem Spruch «Morgen, morgen, nur nicht heute, sagen alle faulen Leute».
Wenn ich mir keine Antworten auf solch grundsätzliche Fragen mache, dann mag dies ein Grund sein, weshalb viele Menschen in den Tag hineinleben, manchmal überfordert sind, sich orientierungslos u/o unentschlossen fühlen.

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Lars Rominger:
Kann «Carpe Diem» eine Lebensphilosophie sein?

Heinrich Stampfli:
Die zwei Worte «Carpe Diem» alleine wohl kaum.
Doch der Spruch kann ja sehr vielseitig gedeutet werden. Jeder darf und soll seine eigenen Prioritäten setzen.
Dann kann es sehr wohl zu einer Lebensphilosophie werden.
Der Satz «Sammle die heutige Ernte, setze wenig Vertrauen in morgen“ ist ja erst ein Anfang. Ich muss tiefer gehen.
Wenn ich weitermache, mir Fragen stelle, was wichtig ist für mich im Leben, Antworten suche, und dann aber säe und handle, dann bin ich auf dem Weg, auf meinem Weg, jeden Tag!
Viele Menschen stecken in einem Hamsterrad: Geld verdienen, Geld ausgeben, stets neuen Zielen nachjagen.
Doch machen uns diese Dinge immer glücklich? Vergessen wir dabei nicht manchmal, wirklich zu leben?
Ist es nicht so, dass wir, gerade im Alter, vor allem in der Vergangenheit, jedoch wenig in der Gegenwart leben?
Und in den jüngeren Jahren leben wir unseren Alltag oft in Routine, als käme das richtige Leben irgendwann später.
Jeder kennt diese Gedanken: Wenn ich mal älter bin, wenn ich dieses oder jenes Ziel erreicht habe, dann beginne ich zu leben! Wenn ich mal pensioniert bin, dann …!
Doch die Zeit läuft und geht vorbei. Ich kann sie nicht zurückholen, im Gegensatz zur Sanduhr, die ich ja umdrehen kann!
Wenn wir am Lebensende zurückschauen, erkennen wir vielleicht, dass wir alles erreicht haben, aber das Leben irgendwie an uns vorbeigezogen ist.
Warum? Vielleicht, weil wir zu wenig bewusst und zu oberflächlich, zu wenig gelebt haben.
Vielleicht schauen wir aber auch zurück, auf das Erreichte, auch auf das Verpasste, aber ich bin glücklich, weil ich gelebt habe, die Chance genützt habe. Wunderbar!
Horaz regt an, zu säen, die Zeit zu nützen, etwas zu machen aus dem Tag, aus seinem Leben, zu ernten, dann aber auch, sich über einen schönen Augenblick zu erfreuen und ihn zu geniessen. Wunderbar!

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Lars Rominger:
Einen guten Tag geniessen, dies kann ja jeder. Es gibt aber auch Missernten, mittelmässige oder auch traurige Tage. Was ist mit diesen Tagen?

Heinrich Stampfli:
Auch solche Momente sind Erfahrungen, aus denen man lernen kann und so zu einem Ziel führen.
Jeder Tag ist wichtig, sagt Horaz, und jeden Tag sollst du „pflücken“, selbst wenn es dir manchmal schwerfällt.
In Zeiten der Pandemie, könnte dies bedeuten, etwas bescheidener zu werden, die Prioritäten etwas anders zu setzen.
Wenn ich Durst habe, kann ich mit einem Glas Leitungswasser zufriedener sein als mit einem Glas Champagner. Ich muss das Glas Wasser bewusst trinken und den Moment geniessen.

Carpe Diem – geniesse den Augenblick – eine Lebensphilosophie?
Ich kann nicht für den einzelnen antworten. Jeder entscheidet selber, welche Akzente er in seinem Leben setzen will.
Carpe Diem – eine Lebensphilosophie? Vielleicht!

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Lars Rominger:
Wir sehen, Carpe Diem ist vielfältig und kann individuell verschieden interpretiert werden.
Sich in Gedanken mit sich selber zu beschäftigen, herauszufinden, was ich will, sich zu ent – wickeln ist anspruchsvoll, aber auch spannend.
Hinsichtlich ent – wicklen kommt mir auch Lazarus in den Sinn. Lazarus wurde von Jesus auferweckt, doch dann hat die eigentliche Arbeit erst angefangen, denn Jesus sagte nicht einfach. Leb jetzt einfach, sondern er wies die Jünger an: Ent – wicklet ihn (von den Totenkleider). Damit er mehr vom Tag hat?

Vielen herzlichen Dank für das sensationelle Gespräch!

Lars Rominger

 

Laufe nicht der Vergangenheit nach, verliere dich nicht in der Zukunft.
Die Vergangenheit ist nicht mehr, die Zukunft ist noch nicht gekommen. Das Leben ist hier und jetzt!
Buddha

Hier geht es zu weiteren „Lars war’s – Talks“ (Link) 

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