Spiderman und die newtonsche Physik

Spiderman und die newtonsche Physik

Sind die meisten Fähigkeiten eines Superhelden übernatürlich und (leider) vollkommen der Fantasie von kreativen Autor:innen entsprungen? Einer der bekannteren Comic-Figuren ist, denke ich, Spiderman („Die Spinne“), der bekanntlich an Wänden entlangklettert.


Abb. 1: Was man doch nicht alles für seinen Enkel und die newtonsche Grundlagenforschung macht, doch kam ich zur ernüchternden und gewichtigen Erkenntnis, dass ich leider, aufgrund meines Feinkostgewölbes, nicht mehr ins Spider-Man – Kostüm passe. Ich führe jetzt eine ausgewogene Diät durch: In jeder Hand ein gleich grosses Stück Kuchen.

Wendet man sich dem Tierreich zu, dann stellt man schnell fest, dass nicht nur die Spinne «Spiderman» als Vorbild diente, sondern sich viele Tiere an Fassaden und Decken fortbewegen. Die fantastisch anmutenden Fähigkeiten Spiderman’s sind somit weniger übernatürlich als gedacht und es drängt sich die Frage auf, ob «normale» Menschen in Zukunft auch Wänden und Decken laufen können und wie sähe das Lasten- und Pflichtenheft des Spiderman-Anzuges aus damit dies möglich wird?

Orientierungshilfe Tierreich
Geckos, Spinnen und Käfern können, entgegen ihres eigenen Körpergewichtes, sich an Wänden bewegen. Diese Form der Fortbewegung wird durch die erhöhte grosse Kontaktfläche zwischen den Füssen der Tiere und der Wand ermöglicht.

Die Abbildung 2 zeigt mikroskopische der sogenannten Setae (lat. Borsten) die an den Füssen der Tiere sind, die sich in mehrere noch kleineren Härchen – sogenannte Spatulae – aufteilen. Je grösser das Tier, umso kleiner sind die Spatulae und umso mehr Kontaktfläche zwischen Tier und Wand wird geschaffen. Die Haftkraft bzw. Adhäsion, die dem Gecko das Krabbeln an der Wand möglich macht, wird somit primär durch die Interaktion zwischen seinen Füssen und der Kontaktoberfläche hervorgerufen.


Abbildung 2: Vergleich der Setae und Spatulae verschiedener Insekten. © David Labonte, Department of Bioengineering, Imperial College London, UK

Um dies alles verstehen zu können, benötigen wir einen Abstecher in den Mikrokosmos bzw. zu den Atomen. Bei entsprechender Vergrösserung können wir die Atome sichtbar machen, aus denen Fuss und Wand bestehen.

Abbildung 3: Linke Spalte «Geckofuss» und rechte Spalte «Wand».
Die Ausbildung von Van-der-Waals-Kräfte ist die Grundvoraussetzung, um an Wänden laufen zu können. Stark vereinfachte Darstellung der Van-der-Waals-Kräfte. Weiterführende Informationen: 
https://www.chemie.de/lexikon/Van-der-Waals-Kr%C3%A4fte.html#:~:text=Mit%20Van%2Dder%2DWaals%2D,Potenz%20des%20Abstandes%20abf%C3%A4llt.

 

Zwei eng beieinanderliegende Atome (Abb. 3. Abschnitt 1) – eines aus dem Geckofuss (links) und eins aus der Wand (rechts) verhalten sich wie zwei Magnete. Kurzzeitig befinden sich zum Beispiel in einem Atom mehr Elektronen auf der einen als auf der anderen Seite. Die Seite mit mehr Elektronen ist für einen kurzen Zeitpunkt negativ geladen und sorgt dafür, dass die Elektronen des anderen Atoms sich soweit wie möglich von dem temporären negativen Pol entfernen (Abb. 3: Abschnitt 2). Dies folgt dem Grundsatz, dass gleiche Pole bzw. Ladungen sich abstossen. Die Atome ziehen sich somit wie ein Nord- und Südpol zweier Magneten an (Abb. 3. Abschnitt 3). Diese Anziehungskraft entsteht überall dort, wo der Geckofuss der Wand sehr nahekommt. Bei den beschriebenen Kräften handelt es sich um die sogenannten Van-der-Waals-Kräfte.

Wir kennen nun den physikalischen Grund, wieso sich kleine Reptilien, Amphibien und Insekten scheinbar ungehindert ihres eigenen Gewichtes an Wänden bewegen können. Wieso hat Mutter Natur uns Menschen nun nicht mit eben jenen Strukturen aus Abbildung 2 an den Füssen ausgestattet?

Die Abbildung 4 vergleicht verschiedene Tiergrössen zu den prozentualen Oberflächenanteil ihres Körpers, der mit Haftstrukturen ausgestattet ist.

Überträgt man diese Logik nun auf einen Menschen, so kommen irrsinnige Zahlen zustande. Wenn ein 1,80 m grosser und 80 kg schwerer Mensch an der Wand laufen soll, dann müssten sich 40% bzw. 0,8 m² der Haut an seinen Fusssohlen befinden. (Quelle 1)
Dies würde einer Schuhgrösse 145 entsprechen. (Quelle 2)

Caption: Animals ranging in size from mites to geckos climb in the canopy of trees with the help of sticky footpads on their feet. Labonte and colleagues studied how footpad area changes across climbing animals varying 10 Million-fold in body mass. They found that sticky footpads became disproportionally larger in larger animals. This disproportionate increase in pad area is necessary to avoid a reduced sticking ability, but may require substantial morphological changes. Extrapolated from the observed scaling relationship, an 80-kg human would need huge adhesive pads taking up almost 40% of the total body surface area. The increase in the relative size of adhesive pads required to accommodate this disproportionate change is schematically illustrated by the blue circles, assuming that body surface area is isometric, based on an 80-kg human with a body surface area of 2m2.

Abbildung 4: Je grösser das Lebewesen wird, desto höher ist der Anteil der benötigten Kontaktfläche zur Wand. (Foto: D. Labonte) [Quelle 3]

 

Die Anforderungen an den menschlichen Körper wären gravierend und solch riesige Füsse inklusive derer Haftstrukturen und bietet mehr Nachteile als Vorteile.

Wie müsste das Last- und Pflichtenheft somit idealerweise aussehen?

 

Optimiertes Lasten- und Pflichtenheft

Nebst der künstlichen Nachrüstung der Haftstrukturen der Gecko-Füsse an den Menschen müssten noch folgende Anforderungen erfüllt werden:

a) Die Oberflächen müssen schmutz- und wasserabweisend sein, damit die Haftung an der Wand garantiert bleibt.
b) Die Kletterhilfen müssen aus einem ausreichend flexiblen Material gefertigt sein um sich an die Unebenheiten und der Rauheit von Oberflächen anpassen zu können. (Quelle 4).
c) Das Material muss eine hohe Festigkeit aufweisen, damit den Belastungen standgehalten werden kann.
d) Die Kletterhilfen müssen sich leicht vom Untergrund lösen lassen. Gleichzeitig muss jedoch bei kleinen Verschiebungen eine Haftung bestehen bleiben, um einer Ablösung im falschen Moment vorzubeugen.

Kohlenstoff-Nanoröhrchen (Abbildung 5) liefern die beschriebenen Eigenschaften und eignen sich, zumindet in der Theorie, um die Setae und Spatulae (Abbildung 2) aus dem Tierreich zu ersetzen. Kohlenstoff-Nanoröhrchen bilden wenige Nanometer dicke Röhrchen. Im Vergleich zu Stahl besitzen sie eine 100-mal höhere Festigkeit bei gerade einmal 1/6 des Gewichtes. Quelle 5.


Abbildung 5: Kohlenstoff-Nanoröhrchen könnten als Ersatz der Fussstruktur eines Geckos dienen. Quelle 6.

Der Blick in die Zukunft
Ob es in der Zukunft ein kommerzieller Spiderman-Anzug geben wird, bleibt abzuwarten. Dass es jedoch grundsätzlich erfolgsversprechend sein könnte, konnten Forscher des US-Verteidigungsministeriums zeigen, denn einem knapp 100 kg schweren Mann gelang es mit Hilfe von Nano-Kletterhilfen an den Händen eine 8 Meter hohe glatte Glasfassade empor zu klettern. Quelle 7.

Entscheidend ist, denke ich, der praktische Nutzen. Momentan scheint z.B. der Leidensdruck der Fensterputzer:innen noch zu klein zu sein um einen Spiderman-Anzug zu entwickeln.

Quellen:

1.https://de.wikipedia.org/wiki/Robert_Wadlow#:~:text=Als%20gr%C3%B6%C3%9Fter%20Mensch%20wurde%20er,was%20der%20Schuhgr%C3%B6%C3%9Fe%2076%20entspricht.

2. https://www.scinexx.de/news/biowissen/warum-spiderman-von-der-wand-fallen-muesste/
und Favi, P. et al. (2014), Inspiration from the natural world: From bio-adhesives to bio-inspired adhesives, J. Adh. Sci. Technol., Volume 28, Seiten 290-319

3. Pugno, N. M. (2008), Spiderman gloves, Nano Today, Volume 3, Seiten 35-41

4. https://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/spiderman-funktioniert-der-gecko-trick-auch-beim-menschen-a-1072782.html#

5. https://www.fuelcellstore.com/blog-section/carbon-nanotubes

6. https://www.fuelcellstore.com/blog-section/carbon-nanotubes

7. https://www.scinexx.de/news/technik/nach-gecko-art-die-fassade-hinauf/

 

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